Das Christkind und der Osterhase können ein Lied davon singen: Kinder haben viele Wünsche. Vom ersten Stofftier über die aktuelle Playstation bis hin zum Führerschein. Und doch sind es andere (kostenlose) Dinge, die Kinder von ihren Eltern dringend brauchen: Das ist vor allem eine gute Beziehung mit den wichtigsten Menschen in ihrer Nähe. Kinder haben das Recht auf Beziehungen, in die sie ihre Bedürfnisse und Wünsche einbringen können. Dabei sind Kinder aufgrund ihrer Abhängigkeit auf das Wohlwollen und die Fürsorge der Eltern angewiesen. Was erwarten sich Kinder in der Beziehung zu ihren Eltern? Um diese Frage zu beantworten gehen wir diesmal an einen Ort voller Konflikte – in die Sandkiste. Die folgende Szene stammt aus dem Alltag einer jungen Mutter und ihrem 3jährigen Sohn Murat.
Murat und Emma hocken im Sandkasten – die beiden backen Kuchen. Ihre Mütter sitzen auf einer Bank daneben und trinken mitgebrachten Kaffee. Plötzlich jault Murat auf und läuft mit Tränen zu seiner Mama. Die unterbricht ihre Plauderei und streckt ihrem Sohn die Arme entgegen. Hastig klettert Murat auf ihren Schoß und zeigt mit dem Zeigfinger auf Emma. Murats Mutter streicht ihm sanft über die Wangen, drückt ihn an sich und spricht mit sanfter Stimme: „Was ist los, warum bist du so verzweifelt?“. Murat zeigt noch einmal auf Emma, die mit großen Augen im Sandkasten neben einem kleinen Häufchen Sand sitzt. „Oh, du bist traurig, weil Emma deinen Sandkuchen kaputt gemacht hat?“ Murat schnieft laut und drückt sein Gesicht fest in Mamas Schulter. „Das ist wirklich schade und ärgerlich – der schöne Sandkuchen, du hast dir sicher viel Mühe gegeben! Den hätte ich wirklich gerne gesehen!“ Die Mutter wiegt ihn für einige Momente leicht hin und her. Murat drückt nun sein Gesicht mit ganzem Gewicht in den Arm seiner Mutter, sein Schniefen ist nur mehr leise zu hören, er atmet tief und ruhig. „Wir müssen unbedingt einen Neuen machen, Emma hilft uns sicher dabei!“, die Mutter steht auf und setzt sich mit Murat an den Rand der Sandkiste. „Möchtest du einen neuen Kuchen mit uns backen, Emma?“, fragt sie. Murat beobachtet sie dabei vorsichtig von seinem sicheren Ort aus. Emma streckt Murat das Förmchen hin. „Siehst du, Emma will mit dir einen neuen Kuchen backen. Ich hätte gerne einen Schoko-Kirsch-Kuchen mit extra Vanilleeis drauf!“ Murat grinst zuerst verlegen, dann lässt er schließlich los – er krabbelt zu Emma in die Sandkiste und greift sich das Förmchen. Emma und Murat backen gemeinsam einen neuen Kuchen. Der wird dann genüsslich „verspeist“. „Mhmm, ist der gut!“ schmatzt Mama im Spiel. Murat und Emma strampeln mit ihren Füßchen und glucksen gemeinsam vor Lachen.
In diesem ersten Teil einer zweiteiligen Beitragsserie widmen wir uns den Bedürfnissen nach Anerkennung, Wichtigkeit und Solidarität. Bevor sie weiterlesen: Lassen Sie die Szene kurz auf sich wirken – wo entdecken Sie darin diese Bedürfnisse für sich?
Anerkennung: „Du bist ok und liebenswert!“
„Seine Mutter liebt ihn, egal ob mit Tränen oder einem Lachen im Gesicht.“
Besonders in leidvollen Momenten brauchen wir die Anerkennung von uns wichtigen Personen. Murats Mama merkt, dass ihn etwas bedrückt und versucht ihn in seinem Schmerz zu verstehen. Damit nimmt sie ihn und seine Sorgen ernst und schenkt ihm Aufmerksamkeit und Interesse. Murat merkt, dass er okay ist: Seine Mutter liebt ihn, egal ob mit Tränen oder einem Lachen im Gesicht. Sie sieht ihn so wie er eben gerade ist und wendet sich nicht von ihm ab, im Gegenteil.
Wichtigkeit: „Schön, dass du da bist!“
Sie möchte ihn und seiner Lage verstehen und ihm helfen, damit es ihm wieder besser geht. Dafür gibt sie sich und Murat ausreichend Zeit und Raum, reiht ihre eigenen Bedürfnisse erstmal hinten an. Sie will in Kontakt mit ihm sein, auch wenn es Murat nicht gut geht. Murat fällt ihr nicht zur Last, denn er ist wichtig für sie. Murat spürt das, seine Anwesenheit ist ihr angenehm und er ist eine Bereicherung für ihr Leben. Mama ist an seiner Seite, einfach so.
Solidarität: „Ich bin da für dich!“
Murat weiß, dass er auf seine Mama zählen kann: bei ihr bekommt er Hilfe und Unterstützung. Sie bietet ihm einen Unterschlupf, wenn sich die Welt gegen ihn verschworen hat. Sie ist an seiner Seite und ermöglicht ihm wieder die Welt zu erkunden bzw. Kontakt ihr aufzunehmen. Murat merkt, dass seine Mama da ist, wenn er sie braucht. Sie hält zu ihm und dafür muss er nichts Spezielles tun – er bekommt dieses Geschenk, weil er eben Murat ist.
„Er darf authentisch sein und vertrauen, dass er bekommt was ihm zusteht.“
So alltäglich die Szene daherkommt, so sehr zeigt sie eine empathische Mutter in Begegnung mit ihrem Sohn. Sie sieht ihn und seine Bedürfnisse und kann die damit verbundenen Wünsche erfühlen und erfüllen. Er hingegen lässt sich in seine Mama fallen, voller Vertrauen und Gewissheit gut aufgehoben zu sein. Murats Mama geht es dabei um ihren Sohn als Person – er bekommt das alles „kostenlos“ ohne sich dafür anstrengen, verbiegen oder verstellen zu müssen. Murat kann so sein wie er ist – verweint, verrotzt, traurig und vielleicht heute besonders anstrengend. Er darf authentisch sein und bekommt was ihm zusteht. Dabei geht es nicht darum alle Bedürfnisse von ihm immer perfekt zu erfüllen (auch Mamas bzw. Eltern sind Menschen), sondern ihm ein stabiles Grundgefühl der Anerkennung, Wichtigkeit und Solidarität mit auf seinen Lebensweg zu geben.
Solche und ähnliche Szene begleiten uns (hoffentlich) von unserer Kindheit bis ins Alter. Sie dienen uns als stabile Basis dafür, wie wir mit uns selbst und anderen umgehen. Falls sie uns fehlen merken wir das oft nur in Form von schwer benennbaren Atmosphären, Gefühlen oder Sehnsüchten. Begegnet Ihnen häufig der Wunsch nach Anerkennung, Wichtigkeit und Solidarität? In welchen Beziehungen können Sie diese Wünsche besonders stark spüren und sind getroffen, wenn sie nicht erfüllt werden? In der Psychotherapie gibt es die Möglichkeit diesen Bedürfnissen und Wünschen den notwendigen Raum zu geben. Nicht selten sind damit starke Gefühle wie Angst, Scham oder Wut verbunden. Auf der psychodramatischen Bühne bekommen diese Gefühle ihren längst fälligen Ausdruck und damit eine Stimme. Denn nicht gesehen und gehört zu werden hat niemand verdient.
In Teil 2 dreht sich alles es um die Bedürfnisse nach Verlässlichkeit, Autonomie und der Unverletzlichkeit der eigenen Grenzen. Es wird dramatisch – seien Sie gespannt!
Zum Weiterlesen:
Sachse, R. (2014). Persönlichkeitsstörungen verstehen: Zum Umgang mit schwierigen Klienten. Köln: Psychiatrie Verlag.